Premieren-Kritik zu „Halb Mensch“ von Sonja Pikart

Am 17. Januar 2023 hatte Sonja Pikarts neues Programm „Halb Mensch“  in Wien Premiere. Die Zeitung „Die Presse“ schreibt in ihrer Premieren-Kritik vom 23.01.23:

Im Programm „Halb Mensch“ verfolgt Sonja Pikart einen Gedanken, der dem des Science-Fiction-Autors Douglas Adams ähnelt: Im „Hitchhiker‘s Guide to the Galaxy“ waren es die Mäuse, die die Erde beherrschen und Menschen bloß brauchen, um Forschung zu betreiben. Bei Sonja Pikart wird die Erde von Künstlicher Intelligenz beherrscht: Sie braucht die Menschen nur mehr, um Energie zu erzeugen. Und wie? Indem im jedem Keller ein Mensch auf dem zuvor ungenutzten Hometrainer sportelt und so Energie generiert.

Diese Dystopie spielt Pikart im neuen Stück, das am 17. Jänner im Kabarett Niedermair Premiere hatte, auf äußerst witzige Weise. So düster der Blick in eine von der Technik beherrschte Zukunft wirkt, das Programm ist es gewiss nicht. Denn Pikart setzt auf Gegensätzliches: Sie stellt der Dystopie eine Utopie gegenüber, sie lässt rechts-konservative Polizisten auf weltoffene Studenten treffen.

Völlig easy schlüpft Pikart von einer Figur in die nächste, jeder Akzent und jede Geste sitzen optimal. Die in Wien lebende Westfälin hat ein brillantes Kabarettprogramm geschaffen. Das Setting ist ein geheimer Unterschlupf für Menschen, die noch nicht von den Elektronikgeräten versklavt sind. Ob mit Discokugel oder Piñata dekoriert, das Versteck bietet Platz für lange Gedankenausflüge in eine Welt, in der alles besser war, oder in eine Welt, in der nichts schlechter wird.

In sympathischer Weise geht Pikart auf die Systemfehler der Menschheit ein (Angst vor Fremden, mangelnde Vielfalt in der Gesellschaft), seziert das seelenlose Partyleben reicher Schnösel und positioniert sich für mehr Klimaschutz. In der Figur einer fleischverherrlichenden SUV-Fahrerin sagt sie: „Die Klimakleber protestieren gegen Methanausstoß. Aber sie lassen sicher auch mal einen Schas.“ Oder: „Was steht in Österreich unter Naturschutz? Jede Form von panierten Lebensmitteln.“

Themen wie Veganismus und Feminismus ziehen sich durch das politische Programm, in dem keine Tagespolitik vorkommt. Augen öffnend wirken besonders die Szenen, in denen Pikart ganz verschiedene Blickwinkel und Positionen einnimmt: Warum wollen die Menschen bei der Technik stets das Neueste und Modernste, während bei sozialen Fragen das Alteingesessene bevorzugt wird? „Ich hätt’ mal eine neue Idee! Wir erziehen unsere Söhne so, dass sie Frauen mit Respekt behandeln! Das bringt Fortschritt und kostet gar nix.“

Jegliche jammernde Argumente, warum man soziales Vorankommen bremsen müsste, macht Pikart herrlich lächerlich. Zugleich entlarvt sie Alltagsmythen und bringt den aberwitzigen Vorschlag, Talkshow-Diskutanten gemeinsam in eine Geisterbahn zu setzen.

Und wie wandelt sie die KI-beherrschte Dystopie in eine Utopie, in der wir selbst die Welt besser machen? Durch Schrulligkeit. „Irrational sein trickst die KI aus. Lasst uns der Fehler in der Matrix sein!“ Ein edles Stück Kleinkunst, das Sonja Pikart hingebungsvoll umgesetzt hat.